Dienstag, 7. Mai 2024

🔱 Tarnen und Täuschen im Seekrieg der Antike: Sieben Beispiele


Es ist heute allgemein üblich, dass Schiffe mit Schiffsnamen, Hoheitszeichen, speziellen Bemalungen und unter Umständen auch mit Kennnummern versehen werden. Doch wie lange gibt es dergleichen schon? Die etwas überraschende Antwort: Seit Jahrtausenden! Gerade im militärischen Bereich war es schon früh sinnvoll, etwa die Schiffe von größeren Flottenverbänden zu kennzeichnen, damit es in der Hitze des Gefechts nicht zu Verwechslungen kam; etwas, das umgekehrt ein schlauer Fuchs natürlich auch zum eigenen Vorteil ausnutzen konnte! Darüber hinaus wurden die Schiffsrümpfe sogar als Flächen für Propagandaslogans benutzt. In einschlägigen Darstellungen der antiken Schifffahrt fehlen diese Aspekte fast immer. Was durchaus verständlich ist, denn die alten Quellen sind diesbezüglich nicht gerade auskunftsfreudig bzw. hinsichtlich der Beschreibungen meist nur sehr vage. Hier nun trotzdem einige von mir ausgewählte Beispiele, die aus dem antiken Werk "Strategika" stammen. Verfasst wurde diese umfangreiche Sammlung militärischer Kniffe und origineller Anekdoten wahrscheinlich im Jahr 161 n. Chr. vom makedonischen Rhetor Polyainos. In militärhistorischer Hinsicht ist "Strategika" eine immens nützliche Quelle (meine Rezension). 

Um in Chios diejenigen, die es mit den Lakedaimoniern (=Spartanern) hielten, zu überführen, befahl Iphikrates einigen Triërarchoi (=Kapitäne größerer Ruderkriegsschiffe), nachts auszulaufen und nach Tagesanbruch mit lakonischen Schiffszeichen heranzufahren. Als dies die lakonisch Gesinnten sahen, liefen sie voller Freude in den Hafen; er aber umzingelte sie mit denen, die von der Stadt her anrückten, nahm sie fest und übersandte sie den Athenern zur Bestrafung.
Buch 3 9.58

Wie solche "Schiffszeichen" im Detail ausgesehen haben, ist heute leider nicht mehr so einfach herauszufinden. Denkbar sind Fahnen/Wimpel, starre Standarten, speziell gemusterte Segel, Rumpfbemalungen usw. Zum Teil wird das noch in den weiteren Beispielen aus der "Strategika" zur Sprache kommen. Vorher aber ein kleiner Einschub aus einer anderen Quelle. Auch der antike Geschichtsschreiber Herodot von Halikarnassos erwähnt nämlich Schiffszeichen. Die Beschreibung erinnert an das, was wir heute "Galionsfiguren" nennen. Im Zusammenhang mit einem verhaltensauffälligen Perserkönig, der sich in Ägypten gehörig daneben benommen hat, heißt es im Geschichtswerk "Historien" folgendermaßen: 

Kambyses verübte noch viele solche Taten des Wahnsinns, sowohl gegen die Perser als auch gegen die Bundesgenossen; dabei blieb er in Memphis, ließ alte Gräber öffnen und betrachtete die Leichname. So kam er auch in das Heiligtum des Hephaistos (=Tempel des Ptah) und machte sich massiv über das Götterbild lustig. Dieses Bild des Hephaistos gleicht nämlich sehr den phönizischen Pataikosfiguren, die die Phönizier am Bug ihrer Triëren mit sich führen. Wer diese nicht gesehen hat, dem will ich sie beschreiben: Es ist die Nachbildung eines Zwerges
Buch 3 37,1-2

Wiederum Polyainos schreibt von Schiffsverzierungen unbestimmter Art, die offenbar sehr typisch für die jeweiligen Kriegsparteien gewesen sind. Und zwar so typisch, dass sie diese Täuschung überhaupt erst möglich machten. Anderenfalls wäre der Gegner wesentlich weniger leichtgläubig gewesen.

Als Aristomachos den Kardianern einige Triëren* abgenommen hatte, brachte er seine Ruderer in sie hinein, schmückte sie mit den Verzierungen seiner eigenen Schiffe, nahm diese ins Schlepptau und fuhr unter Flötenspiel ab (und auf Kardia zu). Als er abends spät dort ankam, liefen die Kardianer zu den Schiffen hinaus, weil sie meinten, es seien die ihrigen, die als Sieger zurückkehren. Aristomachos stieg aber mit seinen Leuten an Land und tötete viele der Kardianer.
Buch 5 41,1

Auch das folgende Beispiel, in dem von einem Signalzeichen die Rede ist, bleibt leider viel zu unkonkret, um sichere Rückschlüsse hinsichtlich des Aussehens ziehen zu können. Da das Zeichen eingezogen werden konnte, darf man vermuten, dass es sich vielleicht um eine Fahne handelte. Aber sicher kann man sich hierbei nicht sein.

Als Chabrias bei Naxos gerade eine Seeschlacht gegen Pollis schlagen wollte, gab er den Triërarchoi* den Befehl, falls sie der feindlichen Macht im Kampf gewachsen wären, die Signalzeichen ihrer Schiffe heimlich einzuziehen und die feindlichen dann daran zu erkennen, dass sie Zeichen hätten. So wussten die Steuerleute des Pollis, als sie der Flotte der Athener begegneten, nicht, woran sie waren, weil diese nicht das attische Zeichen führten. Die Schiffe der Athener aber überraschten sie und machten auf die mit Zeichen versehenen Schiffe einen doppelten Angriff (da ein Teil der lakonischen Flotte schon an der athenischen vorbeigefahren war und nun auch von hinten angegriffen wurde).
Buch 3 11,11

Im Zusammenhang mit der Herrscherin Artemisia I. von Halikarnassos wird eine von ihr offenbar wiederholt verwendete List erwähnt, in der es ebenfalls ganz zentral um die Kennzeichnung von antiken Kriegsschiffen geht. Ihre auch heute noch relative Bekanntheit verdankt sie genau dieser List. 

Artemisia kämpfte in der Seeschlacht bei Salamis mit (bzw. an der Seite von) Xerxes. Es verfolgten die Griechen die fliehenden Perser. Als sie schon nahe daran war, eingeholt zu werden, ließ sie durch ihre Matrosen die persischen Zeichen auf ihrem Schiff abnehmen und befahl dem Steuermann, das persische Schiff anzufallen, das vor ihnen herfahre. Als die Griechen dies sahen, meinten sie, das Schiff der Artemisia sei eines der Schiffe ihrer Verbündeten, ließen von dessen Verfolgung ab und wandten sich gegen andere. Artemisia entkam so der drohenden Gefahr und fuhr nach Karien zurück.
Buch 8 53,1

Artemisia hatte als Triërarchos nicht bloß das Zeichen der Barbaren, sondern auch das der Griechen bei sich. Wenn sie ein griechisches Schiff verfolgte, steckte sie das barbarische Zeichen auf, das griechische aber, wenn sie von einem griechischen Schiff verfolgt wurde, damit die Verfolger ihr Schiff für ein griechisches hielten und von ihr abließen.
Buch 8 53,2

Kleopatra sollte es Artemisia übrigens hunderte Jahre später in gewisser Weise nachmachen, als sie im Rahmen der legendären Seeschlacht von Actium das Weite suchte. Wobei Kleopatra dabei nicht ganz so skrupellos vorging wie Artemisia bei Salamis. 

Wie die nächste Überlieferung zeigt, konnten Schiffe/Flotten offenbar sehr spezifisch bemalt sein, was eine Unterscheidung der Kriegsparteien erheblich erleichtert haben dürfte. Wobei sich hier die Frage stellt, ob die jweieligen Anstriche eine lange Tradition hatten oder gar nur auf  kurzfristigen Entscheidungen beruhten, um eben genau die besagte Unterscheidbarkeit im Krieg zu erreichen, während in Friedenszeiten vieleicht kein Bedarf dafür bestand.

Der Steuermann Nikon von Samos ließ, um unbemerkt an feindlichen Schiffen vorbeizukommen, die in seiner Nähe vor Anker lagen, sein Schiff auf die gleiche Weise anstreichen wie die Schiffe der Feinde, setzte dann die tüchtigsten und kräftigsten Ruderer an den Rudern ein und fuhr vorne an den feindlichen Schiffen vorbei, als wäre er mit deren Mannschaft befreundet. Als er an allen bis zum letzten vorbeigefahren war, steuerte er zum Erstaunen und zur Verwunderung der Feinde seewärts. Erst dann wurde er als Feind erkannt, als es nicht mehr möglich war, ihn einzuholen.
Buch 5 34,1

Eine wirklich äußerst interessante Maßnahme ist die folgende. Die in den persischen Militärdienst gepressten Griechen, welche an der Küste Ioniens (westliche Mittelmeerküste der Türkei) lebten, wurden mittels sicher sehr großformatig aufgemalten Slogans (damit sie auch aus der Ferne gut erkennbar sind) quasi zur Meuterei aufgerufen. 

Da Ionier in der Flotte des (Perserkönigs) Xerxes mitkämpften, befahl Themistokles den Hellenen, auf die Seitenwände der Schiffe zu schreiben: "Männer aus Ionien, ihr tut nicht recht, dass ihr gegen eure Väter in den Krieg zieht." Als dies zu lesen war, vertraute der (Perser-)König den Ioniern nicht mehr.
Buch 1 30,7

Das unter den Persern gesähte Misstrauen war übrigens berechtigt, denn die weiter oben erwähnte, bei Salamis nicht gerade verlässlich agierende Artemisia war genau so eine Ionierin, die ursprünglich genötigt worden war, sich bzw. ihre Untertanen den Persern zur Verfügung zu stellen.  

—————–



Sonntag, 5. Mai 2024

🎧 Hörbares: Die "Edda" als Ursprung germanischer Göttersagen -- Ist Schneewittchen doch kein Märchen? -- Zauberspruch und Minnesang -- Die Varus-Schlacht -- usw.


 Nordische Mythologie - Die "Edda" als Ursprung germanischer Göttersagen | Spieldauer 39 Minuten | ARD | Stream & Info | Direkter Download
Anmerkung zum Bild: Wenn ich der KI sage, sie soll mir die in der nordischen Mythologie vorkommende Walküre (Valkyrie) zeichnen, dann bekomme ich so ein doofes Ergebnis präsentiert. Z.B. die Kopfbedeckung ist eine Mischung aus einem deutschen Stahlhelm Modell WK1 oder WK2, mit Elementen eines vendelzeitlichen Helms. Der Krempel taugt höchstens als Logo für einen Motorrad-Club. 😁 Leider illustrieren immer häufiger Blogs, aber auch richtig große Publikationen, ihre im Internet veröffentlichten Texte mit dieser Art Schrott. Da wird überhaupt nicht mehr mitgedacht, ob das Bild denn wirklich passt.

 Literatur im Mittelalter - Zauberspruch und Minnesang | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download

 Die Römer verlieren die Varus-Schlacht | Spieldauer 15 Minuten | WDR | Direkter Download

 Ist es doch kein Märchen? Schneewittchen als Grafentochter – Recherchen eines Heimatkundlers | Spieldauer 5 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download
Wer hätte das gedacht?!

 Nachhaltigkeit über Antike vermitteln, Int. Katja Sommer, Altphilologenverband | Spieldauer 6 Minuten | 6 | Stream & Info
Ein Paradebeispiel dafür wie man krampfhaft in der Vergangenheit nach Argumenten für gegenwärtige politische Ideologien sucht. Dieser deutsche Altphilologenverband kann aufgrund seines extrem peinlichen Anbiederungsgeschleimes an einen Zeitgeist - inklusive dem unverhohlenen Bestreben, damit Kinder und Jugendliche zu indoktrinieren - meiner Ansicht nach nur noch als intellektuell komplett abgefuckt bezeichnet werden. Diese Leute gehören eigentlich allesamt mit einem nassen Fetzen... 

 Bodendenkmäler nach der Flut restauriert | Spieldauer 8 Minuten | WDR | Stream & Info | Direkter Download


Freitag, 3. Mai 2024

📽️ Videos: Joe Rogan und Christopher Dunn über Technik im Alte Ägypten -- Dokumentation über "gelebtes Mittelalter" -- Claudio Monteverdis "Marienvesper" -- usw.


 Joe Rogan Experience #2142 - Christopher Dunn | Spieldauer 160 Minuten | PowerfulJRE | Stream & Info 
Alternativtheorien zum Alten Ägypten, die dem durchschnittlichen Ägyptologen die Haare zu Berge stehen lassen 😁. Durchaus nicht uninteressant, zumindest aber unterhaltsam! Besonders die anfangs besprochenen Phänomene sollte man sich einmal ansehen.


 Rome's newest archaeological projects in 2024 | Spieldauer 11 Minuten | Darius Arya Digs  | Stream & Info 



 Römer-Fan baut antike Technik nach | Spieldauer 3 Minuten | SWR | Stream & Info
Naja, diese Blicke sagen mir, dass bei der Mehrheit der "Schülerinnen und Schüler" die Erklärungen beim einen Ohr hinein und beim anderen Ohr sofort wieder hinausgehen (und das obwohl sie angesichts der Fernsehkamera bestimmt bemüht sind, Interesse zu heucheln). Das ist so wie wenn der Opa vom Krieg erzählt. Eher sinnlos, die dorthin zu karren, um die Besucherzahlen zu schönen. Die sollen lieber ordentlich Mathe lernen. Oder noch besser, kritisches Denken, anstatt stumpfinniger Autoritätsgläubigkeit. Schon Einstein hat das eingefordert, aber das Gegenteil ist bis heute in den Bildungseinrichtungen üblich.

 Archäologen fördern ottonisch-mittelalterliche Siedlung zu Tage | Spieldauer 2 Minuten | MDR | Stream & Info 
So etwas - eine herrschaftliche Pfalz der Karolinger oder Ottonen - hätte man in Meßkirch (oder besser ganz woanders) bauen sollen, nicht ein von vielen Menschen als fade empfundenes Kloster. 

 Naachtun - Verborgene Stadt der Mayas | Spieldauer 94 Minuten | arte | Stream & Info 

 "Tassilo, Korbinian und der Bär – Bayern im frühen Mittelalter" | Spieldauer 3 Minuten | BR | Stream & Info 

 Dokumentation: Gelebtes Mittelalter | Spieldauer 43 Minuten | 3Sat | Stream & Info 
Bianca Maria Sforza sehr authentisch mit modischer Charakterbrille! Zwar ist das auch bei einem mittelaltermarktmäßigen Fest nicht sonderlich toll, aber richtig übellaunig werde ich erst, wenn Darsteller dergestalt auf angeblich qualitativ höherwertigen Museumsveranstaltungen rumrennen. Das ist eine Unverschämtheit gegenüber den oft zahlenden Gästen und seitens der Veranstalter eine nicht zu tolerierende Schlamperei. Die Darsteller brauchen sich gar nicht an ihren handgenähten und handgefärbte Klamotten aufgeilen, wenn sie dann mit modernen Accessoires wie Brillen vors Publikum treten. Falls diese Leute wirklich so dermaßen schlecht ohne Brille sehen, dann sollten sie sich für die entsprechenden Anlässe Kontaktlinsen kaufen. Die bekommt man für einen Apfel und ein Ei.

 Claudio Monteverdi: "Marienvesper" im Dom zu Worms | Spieldauer 105 Minuten | arte | Stream & Info 
Sehr schön!

—————–

Dienstag, 30. April 2024

🐬 Der Delphin als Lebensretter und Freund: Bemerkenswerte antike Berichte von Herodot und Plinius

Delphin-Fresko in Knossos

Dass Delphine immer wieder Menschen das Leben retten ist durch viele einschlägige Berichte belegt. Wie weit das älteste dieser Zeugnisse aber schon zurückliegt, überrascht dann doch. Der antike Geschichtsschreiber Herodot von Halikarnassos schreibt im 1. Buch seines Geschichtswerks "Historien" (historíai) von einem entsprechenden Vorfall, der sich rund 150 Jahre vor seinen Lebzeiten, nämlich um 600 v. Chr., zugetragen haben soll. Ersichtlich wird anhand des überlieferten Textes ganz nebenbei auch, dass Seereisen in der Antike nicht nur aufgrund von Stürmen und am Horizont auftauchenden Piratenschiffen äußerst gefährlich sein konnten, sondern sich das Unglück mitunter auf eine Weise manifestierte, die uns heute unerwartet erscheint, damals aber - wie man dem Text zwischen den Zeilen entnehmen kann - vielleicht gar nicht so selten gewesen ist. Es stellt sich daher die Frage, wie viele Unglücksraben in der Antike aufgrund ähnlicher Umstände in einem nassen Grab endeten...

[...]. Periandros war Tyrann von Korinth. Ihm widerfuhr, wie die Korinther erzählen - darin stimmen die Lesbier mit ihnen überein - während seines Lebens eine äußerst merkwürdige Geschichte: Arion aus Methymna sei auf einem Delphin nach Tainaron gebracht worden, der Sänger zur Kithara, der keinem seiner Zeitgenossen nachstand, und habe als erster Mensch, soweit wir wissen, einen Dithyrambos gedichtet, ihm diesen Namen gegeben und in Korinth vorgetragen.
Dieser Arion habe, so heißt es, den größten Teil seiner Zeit bei Periandros verbracht, dann aber den Wunsch verspürt, nach Unteritalien und Sizilien zu reisen; er habe, als er viel Geld verdient hatte, wieder nach Korinth zurückkehren wollen. Er sei also von Tarent aufgebrochen und habe ein Schiff mit korinthischer Besatzung gemietet, da er niemandem mehr Vertrauen schenkte als den Korinthern. Diese jedoch hätten auf See den hinterhältigen Plan gefasst, Arion über Bord zu werfen und somit in den Besitz seines Geldes zu kommen. Arion habe die Absicht der Leute erkannt und um Gnade gefleht, indem er ihnen sein Geld überlassen wollte, aber um sein Leben bat. Er habe sie freilich nicht dazu überreden können, vielmehr hätten die Seeleute ihm befohlen, entweder sich selbst zu töten, um eine Bestattung zu Lande zu erhalten, oder möglichst schnell ins Meer zu springen. Da sie es nun so wollten, habe Arion in seiner großen Not darum gebeten, ihm wenigstens zuzugestehen, in vollem Ornat auf der Ruderbank stehend zu singen. Nach seinem Gesang, so versprach er, werde er sich töten. Die Leute hätten sich gefreut, dass sie den besten Sänger unter den Menschen hören würden, und hätten sich vom Heck des Schiffes zur Mitte zurückgezogen. Arion aber habe seinen vollen Ornat angelegt, zur Kithara gegriffen, habe sich auf die Ruderbank gestellt, die Hohe Weise gesungen und sich nach dem Ende der Weise, so wie er war - in vollem Sängerschmuck -, ins Meer gestürzt. Die Seeleute seien nach Korinth gefahren, den Arion aber habe ein Delphin aufgegriffen und nach Tainaron gebracht. Er sei an Land gegangen, in seinem Ornat nach Korinth gekommen und habe nach seiner Ankunft die ganze Geschichte erzählt. Periandros aber habe Arion nicht geglaubt und ihn deshalb in Haft genommen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, irgendwohin zu gehen; auf die Seeleute habe er ein Auge gehabt. Nach deren Ankunft habe er sie zu sich rufen lassen und nachgefragt, ob sie etwas über Arion berichten könnten. Jene hätten geantwortet, er befände sich heil und unversehrt in Unteritalien und sie hätten ihn wohlbehalten in Tarent zurückgelassen. Da aber habe sich Arion ihnen gezeigt, so wie er vom Schiff gesprungen war. Sie seien sehr erschrocken und hätten, da sie überführt waren, das Vorgefallene nicht mehr leugnen können. So erzählen es die Korinther und Lesbier, und von Arion steht in Tainaron eine nicht allzu große Weihegabe: ein auf einem Delphin reitender Mensch.
Herodot | Historien 1,23-24 | Übers.: Christine Ley-Hutton | Reclam, 2002

Man darf hier natürlich ein wenig skeptisch sein. So ist heute etwa nicht mehr sicher, ob der erwähnte Sänger mehr Realität oder mehr Mythos gewesen ist. Andererseits ist es sehr unwahrscheinlich, dass Erzählungen wie diese ohne wahren Hintergrund entstanden sind. Nein, wir dürften es hier tatsächlich mit dem ältesten bekannten Bericht über die Rettung eines Menschen durch einen Delphin zu tun haben. Auch wenn es sich vielleicht nicht exakt in der beschriebenen Weise zugetragen hat, so wird doch ersichtlich, dass bereits unsere Vorfahren vor gut zweieinhalbtausend Jahren mit dem hilfsbereiten Verhalten von Delphinen bestens vertraut gewesen sind. Genau das bezeugt auch ein Brief des über 400 Jahre nach Herodot lebenden Römers Plinius. Er beschreibt darin sogar noch erstaunlichere Dinge und pocht ausdrücklich darauf, dass sein Informant äußerst verlässlich sei. Übrigens, fast könnte man hier meinen, dass die Macher der Fernsehserie "Flipper" diesen uralten Bericht gelesen haben. Was durchaus denkbar ist, denn die Briefe des Plinius sind eine der eher bekannteren und bedeutenderen Schriftquellen der Antike. 

Plinius grüßt seinen Caninius!
Zufällig bin ich auf eine wahre Begebenheit gestoßen, die aber eher einer erfundenen gleicht und Deines überaus glücklichen, erhabenen und dichterischen Talentes würdig ist. Ich bin aber darauf gestoßen, als während einer Mahlzeit verschiedene Wundergeschichten aus aller Welt berichtet wurden. Der Erzähler ist höchst glaubwürdig; doch was fragt ein Dichter nach Glaubwürdigkeit? Trotzdem ist der Erzähler ein Mann, der Dein volles Vertrauen hätte, selbst wenn Du ein Geschichtswerk schreiben würdest.
In Afrika gibt es eine Kolonie Hippo, unmittelbar am Meer gelegen. Nahe dabei liegt eine schiffbare Lagune. Aus ihr führt nach Art eines Flusses ein Kanal zum Meer, der abwechselnd, je nachdem die Flut zurück- oder vorwärts drängt, sich bald ins Meer ergießt, bald wieder in die Lagune zurückläuft. Menschen jedes Alters halten sich hier aus Begeisterung fürs Fischen, Segeln und auch fürs Schwimmen auf, besonders die Jungen, die Muße und Spiel dorthin locken. Für sie bedeutet es Ruhm und Tapferkeit, möglichst weit hinauszuschwimmen. Sieger ist, wer das Ufer und seine Mitschwimmer am weitesten zurücklässt. Bei diesem Wettkampf wagte sich ein Junge, mutiger als die übrigen, ziemlich weit hinaus. Da begegnete ihm ein Delphin; bald schwamm er vor dem Jungen her, bald folgte er ihm, bald umkreiste er ihn, schließlich nahm er ihn auf seinen Rücken, setzte ihn ab, nahm ihn wieder auf seinen Rücken, trug den Zitternden erst aufs hohe Meer hinaus, kehrte dann wieder zur Küste um und brachte ihn wieder ans Land zu seinen Kameraden.
Die Nachricht verbreitete sich in der Siedlung; alle strömten zusammen, betrachteten den Jungen wie ein Wunder, befragten ihn, hörten ihm zu und erzählten es weiter. Am folgenden Tag belagerten sie das Ufer, schauten hinaus aufs Meer und was wie Meer aussah. Die Jungen schwammen, unter ihnen auch der erwähnte Junge, jedoch vorsichtiger. Der Delphin kam wieder zur gleichen Zeit, schwamm wieder auf den Jungen zu. Jener floh mit den übrigen. Der Delphin, als wollte er ihn einladen und zurückrufen, sprang empor, tauchte unter, zog verschiedene Kreise um ihn und entfernte sich.
Das geschah am zweiten Tag, das am dritten, das an den folgenden, bis die am Meer aufgewachsenen Jungen sich wegen ihrer Ängstlichkeit zu schämen begannen. Sie schwammen an ihn heran, spielten mit ihm, riefen ihn, berührten ihn auch und streichelten ihn; und er ließ es sich gefallen. Es wuchs die Kühnheit durch den Versuch. Besonders der Junge, der es als erster versucht hatte, schwamm heran, sprang auf seinen Rücken, wurde weg- und wieder zurückgetragen, glaubte, von ihm wiedererkannt und geliebt zu werden, und liebte ihn seinerseits; keiner fürchtete sich, keiner wurde gefürchtet. Das Vertrauen des Jungen und die Zutraulichkeit des Delphins wurden größer. Auch die anderen Jungen schwammen zugleich rechts und links, ermunterten sie und riefen ihnen zu. Zusammen mit ihm - auch das ist ein Wunder - schwamm noch ein anderer Delphin, jedoch nur als Zuschauer und Begleiter; denn er tat oder duldete nichts Ähnliches, sondern führte ihn nur hin und zurück, wie den Jungen die übrigen Jungen. Es ist unglaublich, doch so wahr wie das vorige, dass der Delphin, Reittier und Spielkamerad der Jungen, sich sogar öfter an Land ziehen und im Sand trocknen ließ und, wenn es ihm zu warm wurde, sich ins Meer zurückwälzte.
Es ist bekannt, dass Octavius Avitus, Legat des Statthalters, den an Land gezogenen Delphin aus törichtem Aberglauben mit Salböl übergoss; vor dem ungewohnten Geruch des Salböls floh er ins Meer und erschien erst viele Tage später wieder, aber geschwächt und traurig; nachdem er bald seine Kräfte wiedererlangt hatte, nahm er seine frühere Ausgelassenheit und seine gewohnten Dienste wieder auf. Zu diesem Schauspiel strömten alle Magistrate zusammen; ihre Ankunft und ihr Aufenthalt zerrüttete die kleine Gemeinde durch die neuen Kosten. Schließlich verlor der Ort selbst seine Ruhe und Abgeschiedenheit; man beschloss, den Grund für das Zusammenströmen der Leute heimlich zu beseitigen.
Mit wieviel Mitgefühl, mit welchem Wortreichtum wirst Du diese Begebenheit beweinen, ausschmücken und steigern! Freilich ist es nicht nötig, etwas hinzuzuerfinden oder beizufügen; es genügt, wenn die Wahrheit nicht beeinträchtigt wird. 
Lebe wohl! 
Plinius der Jüngere | Epistulae 9,33,1-11 | Übers.: H. Philips, M. Gibel | Reclam, 1998/2014

Das traurige Ende einer durchaus glaubwürdigen Erzählung. Den Rummel mussten schließlich alle Einwohner der nordafrikanischen Stadt Hippo Regius miterlebt haben. Oder nicht miterlebt haben, wenn es eine Erfindung gewesen wäre. Ein Lügner, der sich das alles nur ausgedacht hätte, wäre daher rasch aufgeflogen*. Außerdem deckt sich das Beschriebene mit dem auch uns bekannten Verhalten von Delphinen, die dem Menschen viel Zuneigung entgegenbringen, obwohl dieser das Vertrauen der Tiere leider immer wieder missbraucht - heute wie schon vor Jahrtausenden.


* Abschweifende Notiz am Rande: Die gleiche Überlegung legt auch die historische Existenz des Jesus von Nazareth sehr nahe. Ob es diesen Mann gegeben hat, war schließlich für Zeitgenossen relativ leicht in Jerusalem und in vielen seiner anderen Wirkungsstätten zu verifizieren/falsifizieren. Als das Christentum zum ersten Mal verlässlich in außerchristlichen/heidnisch-römischen Quellen greifbar wurde, lebten noch viele Zeugen, die, selbst wenn sie Jesus nicht persönlich gekannt hatten, doch von dem Aufruhr (plus Gerichtsprozess), den er in Jerusalem verursacht hatte, wissen mussten. Auch als ungefähr zur Mitte des 1. Jahrhunderts die ersten Evangelien entstanden, gab es noch entsprechende Augenzeugen. Ein erfundener Jesus wäre damals nicht aufrechtzuhalten gewesen. Hier hätte man als Betrüger völlig anders vorgehen müssen, nämlich indem man die körperliche Existenz des Jesus  zeitlich so weit zurücklegt, dass eine Nachprüfbarkeit unmöglich ist. Freilich, die behaupteten "Wunder", die Jesus vollbracht haben soll, sind eine ganz andere Geschichte. Die Verifikation von diesen war schon damals wesentlich schwieriger. Konnte man als Evangelienautor doch in der niedergeschriebenen Erzählung beispielsweise gezielt auf Personen zurückgreifen, die eventuell gar nicht mehr lebten und daher auch nicht mehr befragt werden konnten. So muss dieser Aspekt "Glaubenssache" bleiben.



Sonntag, 28. April 2024

🎧 Hörbares: Der Tod Karls des Großen -- Christlicher Grusel -- Welche historische Bedeutung hatte König David? -- Die Meuterei auf der Bounty -- usw.


 Der Tod Karls des Großen | Spieldauer 52 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download

 Christlicher Grusel: Die Visionen der Nonne Anna Katharina Emmerick | Spieldauer 5 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download
"Mel Gibson zeigt in seinem Film „Die Passion Christi“ das Leiden Jesu in besonders grausamer Weise. Vorlage für den Hollywood-Film waren Visionen der münsterländischen Ordensschwester Anna Katharina Emmerick." Der Film war ein großer Erfolg, der Preis dafür war freilich, dass Mel Gibson karrieremäßig von Lobbyorganisationen wie AIPAC, ADL etc. abmontiert wurde. Mir andererseits war der Film damals relativ wurscht. Das Thema ist mir aus Agnostikersicht zu "märchenhaft", auch wenn es einen wahren Kern hat, über dessen Größe man diskutieren kann. Meine Kritik erschöpft sich deshalb weitestgehend darin, dass man in der Produktion völlig unverständlicherweise nicht das zeitgenössische Latein des 1. Jahrhunderts gesprochen hat, sondern Spätlatein. Was anscheinend all jene Journalisten übersehen haben, die den Film für die authentische Sprache lobten...

 Die Meuterei auf der Bounty (am 28.4.1789) | Spieldauer 15 Minuten | WDR | Stream & Info | Direkter Download
So viele Lügen wurden zu diesem Fall schon von Zeitgenossen verbreitet. Und Hollywood, verantwortungslos und bis ins Mark dumm, hat diese dann dermaßen in die Köpfe der Menschen gehämmert, dass sie dort nicht wieder rauszubekommen sind. Der später bis in den Rang eines Konteradmirals aufgestiegene William Bligh ist ein Opfer von klassischer "character assassination" (aka "Rufmord"). Auch heute noch eine allenthalben anzutreffende Vorgehensweise, die quasi in den Werkzeugkasten eins jeden Parteipolitikers und der meisten Journalisten gehört.

 Archäologie: Ich will die Sensation in 1000 Jahren sein | Spieldauer 34 Minuten | MDR | Stream & Info | Direkter Download
Darf man das auch als den Aspekt einer narzisstischen Selfie-Generation verstehen?

 Französische Revolution - Der Code Civil | Spieldauer 40 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download

 14. Jahrhundert: Bedeutende Herrscherinnen - Königin Margarethe von Dänemark | Spieldauer 38 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download

 Welche historische Bedeutung hatte König David? | Spieldauer 2 Minuten | SWR | Stream & Info 


Freitag, 26. April 2024

📽️ Videos: Science Talk über Experimentelle Archäologie -- Großer Fund eines Hobbyarchäologen -- Ausgrabung mit Nervenkitzel -- usw.


 Science Talk: Experimentelle Archäologie | Spieldauer 30 Minuten | SWR | Stream & Info

 Archäologen finden erstaunliche Überreste von Schildkröten | Spieldauer 1 Minute | MDR | Stream & Info 

 Sondiergrabungen in Mitholz zeigen: Munition ist in gutem Zustand | Spieldauer 5 Minuten | SRF | Stream & Info
Das ist mal eine Grabung mit echtem Nervenkitzel!

 Bad Windsheim: Neues Strohdach im Freilandmuseum | Spieldauer 5 Minuten | BR | Stream & Info
Vielleicht können die Kollegen in Meßkirch da noch etwas lernen 😃


 Umbau im Museum Ulm als baugeschichtliches Überraschungsei | Spieldauer 2 Minuten | SWR | Stream & Info

 Großer Fund eines Hobbyarchäologen in der Ausstellung | Spieldauer 3 Minuten | BR | Stream & Info
"Hobbyarchäologe" - höhö, bei der Bezeichnung geraten einige Archäologen sicher gleich in Schnappatmung.

 What did Republican Rome look like? | Spieldauer 10 Minuten | Ancient Rome Live | Stream & Info 




Mittwoch, 24. April 2024

📖 Buchrezension und launige Generalabrechnung: "Der offizielle Baustellenführer" des Campus Galli (2024) 😆

Campus Galli 2024

Was ich von der in Meßkirch angesiedelten Kloster- bzw. Mittelalterbaustelle Campus Galli halte, dürfte hinlänglich bekannt sein. Nun ist kürzlich eine aktualisierte Ausgabe des Begleithefts zu dieser tragikomischen Dauerverhohnepiepelung des Steuerzahlers erschienen. "Der offizielle Baustellenführer" soll einen Eindruck vom aktuellen Stand der Dinge vermitteln. Nehmen wir den Autor sowie Campus-Galli-Geschäftsführer Hannes Napierala beim Wort und unterziehen wir einige seiner Aussagen exemplarisch einer Realitätsüberprüfung. 

Vor inzwischen mehr als 10 Jahren begann das ehrgeizige Projekt, den St. Galler Klosterplan als echte Mittelalterbaustelle zum Leben zu erwecken - zunächst mit nur einigen wenigen Handwerkern, auf einem noch dicht bewaldeten Gelände. Von den großen, mittelalterlichen Gebäuden, die einmal kommen sollten, war damals noch wenig zu erahnen.

Davon ist auch heute noch nichts zu erahnen, handelt es sich bei dieser sogenannten "Klosterstadt" doch um eine armselige Schmalspurvariante von dem, was im frühmittelalterlichen Klosterplan von St. Gallen enthalten ist. Wirklich große Bauten gibt es auf dem Gelände des Campus Galli bisher nicht (bestenfalls als "mittelgroß" anzusprechende). Vieles wird stattdessen eine oder mehrere Nummern kleiner gebaut. 
Im Klosterplan von St. Gallen, der kein wirklicher Bauplan, sondern eher eine schematische Darstellung ist, sind keine verlässlichen Maße zu finden. Außerdem fehlt die dritte Dimension - es ist also nicht klar ersichtlich, ob die rund 50 eingezeichneten Bauten mitunter über Stockwerke verfügen sollen. Nur in wenigen Ausnahmen wird dies erkennbar, etwa wenn, wie im Fall der Basilika, Wendeltreppen eingezeichnet sind oder in einer der spärlichen Beischriften ein einschlägiger Hinweis auftaucht. Da nun das Projekt Campus Galli über unzureichende Mittel verfügt, neigt man dort meiner Beobachtung nach dazu, derlei Interpretationsspielräume dahingehend auszunutzen, tendenziell bescheidenere Varianten der im St. Galler Klosterplan eingezeichneten Bauten zu errichten. Oder sie gleich ganz wegzulassen.

Doch über die Jahre ging es Schritt für Schritt voran. Wir konnten uns an neue Herausforderungen wagen, weitere Handwerker einstellen und den St. Galler Klosterplan immer mehr zum Leben erwecken.

Der ist ja lustig. Hat es doch erst im Vorjahr in den Medien geheißen, dass man aufgrund der desolaten Finanzlage des Projekts den Personalstand VERRINGERN musste. Die Schwäbische Zeitung schrieb im Juli: "Am höchsten seien die Personalkosten, so Finanzdezernent Peter Hotz. Durch Stellenabbau und Stundenreduzierung ohne Lohnausgleich wurden bereits fast fünf Vollzeitstellen eingespart, die wieder hochgefahren werden sollen, sobald die Besucherzahlen steigen und damit auch die Einnahmen." 
Das muss auch heute noch weitestgehend der Stand der Dinge sein, da jetzt am Saisonanfang noch gar nicht ersichtlich sein kann, wie sich die Besucherzahlen entwickeln werden.  

Getragen wird das Projekt vom gemeinnützigen Verein  "Karolingische Klosterstadt Meßkirch e. V.", der zugleich Arbeitgeber und Aufsichtsgremium ist. Daneben gibt es einen Förderverein, den "Freundeskreis Campus Galli e. V.". Jeder ist herzlich willkommen und eingeladen, diesem beizutreten, um das Projekt zu unterstützen.

Das gewählte Konstrukt wurde schon in der Frühphase des Projekts von Beobachtern als "merkwürdig", "obskur" und "windig" bezeichnet. Der als "gemeinnützig" deklarierte Trägerverein nimmt nicht nur keine neuen Mitglieder auf, sondern selbst die aktuellen Vorstandsmitglieder werden auf der Homepage des Projekts verschwiegen (möglicherweise ist es diesen Verantwortungsvermeidern nicht recht, allzu sehr mit einem Versagerprojekt assoziiert zu werden). Präsentiert wird der Öffentlichkeit lediglich der Vorsitzende Anton Oschwald. Die Gemeinde soll als Hauptsponsorin des Campus Galli außerdem einige parteinahe 'Sockenpuppen' in den Trägerverein gesetzt haben. Daneben gibt es noch den erwähnten "Freundeskreis", der eine Art Parallelverein darstellt und sich quasi als das Gesicht des Campus Galli präsentiert, aber keine nennenswerten Entscheidungsbefugnisse hat. Dieser "Freundeskreis wird traditionell von einem Parteipolitiker geleitet. Das Projekt ist aufgrund der vielfältigen Politiknähe daher nicht als privat einzustufen, sondern als ein klar staatlich kontrolliertes. Es ist deshalb kaum überraschend, dass der Campus Galli einerseits zwar finanziell aus dem letzten Loch pfeift, andererseits aber immer und immer wieder mit absurden Mengen an Steuergeld am Leben erhalten wird. Ein tatsächlich privater Verein würde nach über 11 Jahren des betriebswirtschaftlichen Dauerversagens wohl kaum weiterhin mit Staatsknete alimentiert werden. 

Zur Anwendung kommen auf Campus Galli die handwerklichen Methoden und die Materialien, die auch im 9. Jahrhundert in dieser Gegend zur Verfügung standen. Kompromisse werden nur gemacht, wenn sie unbedingt notwendig sind, d.h. wenn die Sicherheit unserer Mitarbeiter gefährdet wäre, wenn es nicht finanzierbar ist oder wenn es nicht mit heutigem Recht oder aktuellen Vorschriften vereinbar ist.

Man beachte besonders den Passus mit der Nichtfinanzierbarkeit. Das ist ein sich selbst ausgestellter und weidlich ausgenützter Freibrief, damit dieses Mittelalter-Kombinat abseits der Öffentlichkeit schweres Gerät einsetzen kann. So wurde z.B. ein Teich mittels Bagger ausgehoben, Bäume mit Motorsägen gefällt, massenhaft Steinmaterial mit Maschienen bearbeitet und in der zum Projekt gehörenden Landwirtschaft ein Traktor eingesetzt. Damit löst sich das Marketing-Alleinstellungsmerkmal, nämlich die behauptete authentisch-mittelalterliche Arbeitsweise, in Luft auf. Man könnte auch sagen: Die inkonsequent agierenden Projektbetreiber halten die Öffentlichkeit mit ihren vollmundigen Versprechen seit mehr als einem Jahrzehnt zum Narren. 

Neben dem Betrieb von "Campus Galli" als lebendiges Museum erhofft sich die archäologische Forschung Erkenntnisse aus der praktischen Anwendung und Umsetzung all dessen, was ansonsten nur in der Theorie erarbeitet werden kann. Diese Methode wird auch als Experimentelle Archäologie bezeichnet und stellt ebenfalls einen wichtigen Teil des Projekts dar.

Soso, ein wichtiger Teil des Projekts soll die Experimentelle Archäologie also sein. Ja und wo bleiben dann all die 'Papers' nach über 11 Jahren Laufzeit? Wo sind die zu erwartenden Berge an wissenschaftlichen Publikationen, mit denen man vielleicht jene Steuergeld-Millionen halbwegs rechtfertigen könnte, die bisher in den Campus Knalli geflossen sind? Antwort: Es gibt sie nicht! Die Betreiber tingeln stattdessen besonders gerne bei anderen Freilichtmuseen herum und schauen sich diverse Techniken dort ab. So etwa beim Burgbauprojekt Guédelon (Frankreich). Dergleichen ist natürlich keine ernsthafte Forschung, sondern vielmehr Recherche für die Museumspädagogik zuhause. Erforscht wird beim Campus Galli demnach primär die eigene Unwissenheit, die man dann zum allgemeinen Stand der Wissenschaft erklärt. Man könnte geradezu von einem Strohmannargument sprechen. Sie stellen selber einen Pappkammeraden auf, nur um diesen umhauen zu können.
Auch die Partnerschaft mit der Uni Tübingen hat keinen nennenswerten Mehrwert für die Forschung. Eher geht es dabei um 'Studentenbespaßung'. Aber der Campus Galli kann sich hier öffentlichkeitswirksam das Mäntelchen der Wissenschaftlichkeit umhängen. Der durchschnittliche Journalist, der dann darüber berichtet, ist nicht in der Lage, den ganzen Krempel qualitativ einschätzen. 

Die anfängliche Infrastruktur (Wege, Parkplatz) wurde von der Stadt Meßkirch übernommen, aus dem LEADER-Programm der EU gab es Zuschüsse. Aktuell wird von der Stadt Meßkirch noch ein Betriebskostenzuschuss beigesteuert. Auch der Landkreis Sigmaringen schießt im Bedarfsfall noch etwas zu. Die Höhe der benötigten Zuschüsse richtet sich nach dem jeweiligen Saisonergebnis. Mittelfristig soll das Projekt auf eigenen Beinen stehen und sich vorwiegend aus den Eintrittsgeldern finanzieren, damit die Abhängigkeit von öffentlichen Zuschüssen sinkt.

Nach immerhin schon 11 Jahren Dauerbezuschussung der drolligen Klosterbaustelle schwadroniert dieser Mensch davon, "mittelfristig" aus der Verlustzone kommen zu wollen. Dazu muss man wissen, dass seitens des Campus Galli Bauzeiten von 80, 100 und noch mehr Jahren genannt wurden. Do the math! 

Für die Stadt und das Umland trägt Campus Galli zur touristischen Regionalentwicklung bei. Seit der Eröffnung 2013 ist in den angrenzenden Gemeinden ein deutlicher Anstig an Übernachtungen zu verzeichnen.

Er hält diese Behauptung offensichtlich für so evident, dass er sie mit keinen harten Fakten belegt. Dazu wäre er freilich auch gar nicht in der Lage, weil die angeblich positiven Auswirkungen auf den Tourismus nie umfangreich und seriös evaluiert wurden. Vielmehr handelt es sich dabei u.a. um anekdotenhaftes Geplapper von Parteipolitikern und politiknahen Heinis, die z.T. selber in das Förderdickicht des Campus Galli verstrickt sind. Davon abgesehen ist die Aussage "ein deutlicher Anstieg" hochgradig schwammig. Das kann fast alles bedeuten, je nachdem wie man das Wort "deutlich" interpretiert. Und eine Korrelation/Scheinkorrelation ist ohnehin nicht mit einer Kausalität gleichzusetzen. Als ausgebildeter Wissenschaftler sollte Hannes Napierala das eigentlich wissen. 
Interessant ist aber in diesem Zusammenhang, dass sich Nachbargemeinden von Meßkirch trotz einschlägiger Begehren ausdrücklich weigern, den Campus Galli mitzufinanzieren. Offensichtlich sieht man keinen Nutzen darin. Will heißen, man ist zur Einschätzung gelangt, dass das Projekt eben keine signifikanten touristischen Auswirkungen in der Region entfaltet und Investitionen aus der eigenen Tasche daher nicht rechtfertigbar sind. 

Jahrelang begleitete auch der Verein Werkstättle e. V. die Arbeiten auf dem Gelände und bot eine Arbeitsgelegenheit für bis zu zwölf Langzeitarbeitslose. Diese Maßnahme musste Ende 2022 leider eingestellt werden.

Natürlich bedauert der Herr Geschäftsführer das, denn diese Arbeitskräfte sind ebenfalls mit Geld der autochthonen Zahlesel finanziert worden. Noch günstiger geht es für ihn und seinen eingetragenen Schnorrerverein nicht.

Ein reales Bauprojekt benötigt aber genau jene definitiven Entscheidungen, die im Spannungsfeld zwischen den technischen Möglichkeiten und der geistigen Welt des 9. Jahrhunderts einerseits, so- wie der Umsetzbarkeit und den Vorschriften des 21. Jahrhunderts andererseits zu suchen sind.

Genau darin liegt bei solchen Projekten der größte Hund begraben. Der überbürokratisierte Korinthenkacker-Staat macht es mit seinen unflexiblen Vorschriften unmöglich, zu einer halbwegs lückenlosen empirischen Erkenntniskette zu gelangen. Wenn man etwa moderne statische Sicherheitserwägungen bei einem Bau berücksichtigen muss, obwohl man von Originalbauwerken aus dem Mittelalter genau weiß, dass es auch anders geht (die stehen schließlich seit vielen Jahrhunderten!), dann kann am Ende fast immer nur schnöde Museumspädagogik herauskommen, aber keine konsequent durchgezogene Experimentalarchäologie, die wirklich umfangreiche Daten liefert. Bei Großprojekten wie dem Campus Galli bleibt daher viel wissenschaftliches Potential ungenützt liegen. Der Wert für die Forschung kann letztendlich nur marginal sein. So erschöpft sich dieser beim Campus Galli vor allem in Kleinkram wie dem Guss einer Glocke, irgendwelchen halbgaren Versuchen mit Töpfereiprodukten und dem Austesten verschiedener Mörtelmischungen. Zu letzterem 'Experiment' hat mir der ehemalige Leiter einer Dombauhütte freilich schmunzelnd erklärt, dass nichts, was er darüber von Campus-Galli-Mitarbeitern vor Ort gehört hat, für ihn neu war.  

Vom Konzept eines Rundwegs haben wir uns im Jahr 2019 verabschiedet. Die Besucher sind eingeladen, das Gelände selbst zu erkunden.

Schon beim Projektstart 2013 habe ich gesagt, dass der Rundweg eine Schnapsidee ist, u.a. weil dieser die Besucher zwingt, durch unbespieltes/langweiliges Gelände zu latschen. Es hat nur sechs Jahre gedauert, bis die Projektbetreiber ebenfalls zu dieser Erkenntnis gelangt sind ^^. Für eine dergestalt lange Leitung dürfte die berühmte "Entschleunigung" verantwortlich sein, auf die man beim Campus Galli immer so betont stolz ist. 

Die Mitarbeiter hatten sich schon früh für den Bau der Klosterplan-Scheune ausgesprochen, was sich gut mit den Erkenntnissen der Bauforschung deckt: Interessanterweise entstehen die Scheunen tatsächlich sehr häufig in einer frühen Bauphase - sie gehörten z. B. auch nach dem Dreißigjährigen Krieg vielerorts zu den ersten Gebäuden, die wieder aufgebaut wurden. Dies zeigt, wie wichtig zu allen Zeiten ein Lagerplatz für die Ernte war

Formell ist das richtig, aber im Kontext der Realität auf dem Campus Galli handelt es sich um irreführenden Schwachsinn hoch drei. Denn natürlich hätten die Mönche als erstes feste Wohngebäude errichtet, um sich im Winter nicht den Allerwertesten in Zelten oder zugigen Unterständen aus Reisig abfrieren zu müssen. Beim Campus Galli wurde hingegen nicht so vorgegangen, sondern man hat stattdessen Handwerkerbuden, eine Holzkirche und die besagte Scheune gebaut. Das kann man aus projektspezifischen Gründen so machen, aber dann sollte man nicht insinuieren, die Reihenfolge der errichteten Gebäude würde historischen Vorlagen entsprechen! 

Der Bau der Scheune wurde im Rahmen eines ELR-Projekts gefördert (Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum). Dazu wurden von der LEADER-Aktionsgruppe Oberschwaben circa 300.000 Euro bereitgestellt.

Geradezu ein Schnäppchen für den Steuerzahler! Und es wird nicht das letzte sein, so viel kann man angesichts der beständig Roten Zahlen getrost prognostizieren.

Das verwendete Eisen ist zu großen Teilen Werkzeugstahl, der zwar modern (industriell) hergestellt ist, jedoch so ausgewählt wurde, dass er den Eigenschaften des unlegierten, mittelalterlichen Stahls möglichst nahekommt. Gleiches gilt für die Holzkohle, die ebenfalls zugekauft wird.

So werden halt an allen Ecken und Enden 'Kompromisse' eingegangen. Beim erwähnten Stahl ist es beispielsweise so, dass selbst relativ billige moderne Sorten jenen des Mittelalters haushoch überlegen sind. Man muss sich dazu nur diverse Untersuchungen an archäologischen Funden aus mittelalterlichem Stahl anschauen; selbst vermeintlich hochwertige Schwerter fallen immer wieder mit Einschlüssen (Schlacke) negativ auf, die bei größerer Belastung wie Sollbruchstellen wirken. Getrost kann man deshalb davon ausgehen, dass auch Werkzeug aus modernem, also homogener aufgebautem Stahl, langlebiger und robuster ist. 

Für die erste Phase unserer Bautätigkeit haben wir uns entschieden, die Beete des Kräutergartens mit Lesesteinen zu umranden, später werden diese evtl. durch Bohlen ersetzt, wie bereits im Zusammenhang mit dem Gemüsegarten beschrieben

Die bauen seit über 11 Jahren, aber immer noch will man sich in der ersten Phase des Projekts befinden! Dass die Beete des Kräutergartens laut mittelalterlichen Quellen (Walafried Strabo) mit dicken Brettern eingerahmt gehören, habe ich schon vor 9 (!) Jahren bemängelt. Aber diese trägen Kostgänger des Steuerzahlers haben bis jetzt nichts daran geändert, obwohl sie, wie das Zitat oben belegt, ganz genau wissen wie es richtig gemacht gehört. An diesem Beispiel sieht man freilich sehr gut, mit welcher wissenschaftlichen 'Sorgfalt' beim Campus Galli gearbeitet wird. Hauptverantwortlicher für diese Laissez-faire-Herangehensweise ist der überforderte Geschäftsführer Napierala. Ihm ist einfach zu viel wurscht.

Über die Holzkirche des Campus Galli behauptet er.

gebaut 2014-2017

Im Rahmen meiner Rezension der Chronik des Campus Galli machte ich im Jahr 2018 bereits auf folgenden Umstand aufmerksam:

Herr Heim schreibt dazu u.a., das Holzkirchlein des Campus Galli habe 2017 "gewissermaßen den letzten Schliff" erhalten.
Interessanterweise hieß es bereits in der Chronik des Vorjahres, dass die Kirche fertig sei (Zitat: "2016 konnte mit der Holzkirche das erste Bauwerk der karolingischen Klosterstadt fertiggestellt werden"). Außerdem wird auch jetzt noch, im Jahr 2018, laut Medienberichten an dem Bau herumgewerkelt. Im Angesicht dessen fühlt man sich hier an den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert.

Was ich mit diesem kleinen Beispiel verdeutlichen möchte: Man kann diesen Leute nichts glauben. Mal heißt es so, dann wieder so. Sie biegen sich die Dinge einfach nach Bedarfslage zurecht. Möchte man etwa wieder einmal Fördergelder abräumen oder sich in den Medien wichtig machen, um mehr Besucher anzulocken, dann verweist man großspurig auf vermeintliche Leistungen. So wurde deshalb ein Bau wie das kleine Holzkirchlein mehrfach als "fertig" deklariert, obwohl bei ehrlicher Betrachtung noch einige Arbeiten daran zu erledigen waren. Oder würde man etwa heute ein Wohnhaus als "fertig" bezeichnen, wenn z.B. noch der Fußboden fehlt?
Übrigens, was Herr Napierala im Abschnitt über die Holzkirche geflissentlich verschweigt: Das Dach ist viel zu steil und damit ahistorischer Unsinn. Ich habe das schon kritisiert, als die ersten Pläne veröffentlicht wurden. Es entsteht hier der starke Verdacht, dass man sich das gotische Dach der karolingischen Torhalle vom Kloster Lorsch zum Vorbild genommen hat. Auf Facebook wurde seitens des Campus Galli vor ein paar Jahren dann gegenüber einem anderen Kritiker die falsche Dachneigung tatsächlich eingeräumt. Sie würde auf mangelhafter Recherche beruhen. Warum aber verschweigt man den nicht gerade kleinen Fehler ausgerechnet im aktualisierten "Baustellenführer"? 

Die Glocke wurde im April 2018 endlich erfolgreich vor Ort gegossen, nachdem zwei Versuche in den Jahren 2015 und 2016 misslangen. Der Glockenguss fand in Kooperation mit dem erfahrenen Kunstgießer und Archäologen Dr. Bastian Asmus statt.

Wenn dieser Mann so erfahren und toll ist, wieso hat der die Glocke dann gleich zweimal versemmelt?
Und von wegen "endlich erfolgreich". Der Gießer selbst schreibt nämlich in einem Aufsatz über den Guss folgendes: 

Der Versuch zum Formen der Glocke hat sehr gut funktioniert, auch wenn während der Rekonstruktion ein Fehler passiert ist, der verhinderte, dass die Glocke eine Krone erhielt. Dieser Fehler war jedoch keiner der Rekonstruktion, sondern auf Unachtsamkeit zurückzuführen

Natürlich verschweigt Hannes Napierala seinen Lesern auch dieses Faktum. Zu peinlich wäre es, klar einzugestehen, dass auch der dritte Guss zumindest ein Teilmisserfolg war und eigentlich hätte wiederholt werden müssen. Stattdessen heißt es:

[...] Aufgrund ihrer Form wird dieser Glockentyp als "Bienenkorbglocke" bezeichnet. Derartige Glocken klingen noch nicht so voll und sauber wie die heute gebräuchlichen Glocken, deren Form sich seit dem 13. Jahrhundert kaum verändert hat.

Die Glocke des Campus Galli klingt wie ein verbeulter Blecheimer. Ob das wirklich zu 100 Prozent an der historisch vorgegebenen Form liegt? Oder nicht auch daran, dass das Ding vielleicht insgesamt schlecht gemacht wurde und deshalb kleine Risse oder von außen nicht sichtbare Einschlüsse aufweist?
Übrigens, meiner Erinnerug nach wurde die herstellungsspezifisch mit Graten überzogene Glocke - typisch mittelalterlich - mittels Winkelschleifer in ihre endgültige Form gebracht.

Nahe der Steinmetzkreuzung, dort, wo das Gelände nach drei Seiten hin langsam abfällt, wird in vielen Jahren die große Abteikirche des Klosterplans gebaut werden.

Man beachte: "In vielen Jahren" wollen sie überhaupt erst mit dem Bauen beginnen! Dass es sich bei dieser wolkigen Ankündigung um eine reine Luftnummer handelt, weiß dieser Prahlhans von einem Autor ganz genau. Er behauptet es trotzdem, wohl des Marketings wegen. Schließlich fußt das ganze Projekt Campus Galli in der öffentlichen Wahrnehmung auf der Idee, man würde ein richtig imposantes Großkloster errichtet, mit einer gewaltigen Kirche als Mittelpunkt. Dem potentiellen Besucher gibt man so das Gefühl, Zeuge von etwas ganz Großem zu sein. Das jedoch ist, wie die Realität nahelegt, völliger Bullshit. Die Anlage wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst bei einer dauerhaften staatlichen Bezuschussung nie über die Ausmaße eines kleinen klösterlichen Filialbetriebs hinauskommen. Für mehr fehlt einfach das Geld. Grund: Das Besucherinteresse ist zu gering und wird auch zu gering bleiben. Weil: Kloster = langweilig und "Campus" hört sich nach ödem Bildungsgedöns an. Eine Burg hätte man stattdessen errichten sollen. Oder eine karolingische Königspfalz. Und einen anderen Standort hätte man finden müssen, anstatt ins baden-württembergische Meßkirch zu gehen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Aber für all das ist es jetzt zu spät. Man hat es quasi von Anfang an vergeigt. Trotzdem verharrt die Politik bei ihrer dem Prinzip Hoffnung folgenden Strategie der Bezuschussung: Stichwort "sunk cost fallacy". 

Hier entsteht seit Herbst 2021 das erste Steingebäude auf dem Campus Galli. Im St. Galler Klosterplan ist es das Nebengebäude des Abtshofs, der "von Zäunen rings umgeben" (im Klosterplan: Saepibus in gyrum ductis sic cingitur aula) ist. Der Abtshof besteht aus zwei Gebäuden, die mit einem gemeinsamen Innenhof einen abgeschlossenen Gebäudekomplex bilden. Das gröBere der beiden Gebäude wird erst später gebaut werden.

Als in den Medien immer und immer wieder davon die Rede war, es würde nun der Abtshof des Klosters errichtet, war das demnach schlicht gelogen. Vielmehr wird nur ein Nebengebäude davon realisiert (auch eine halbe Wahrheit kann bereits eine ganze Lüge sein). Wann und ob der Hauptbau errichtet wird, steht anscheinend völlig in den Sternen. Die Projektbetreiber wissen es wohl selber nicht so recht. Oder sie wissen es, trauen sich aber nicht Tacheles zu reden, weil eine lange Wartezeit ihr Versagen noch offenkundiger machen und das Besucherinteresse kaum fördern würde. Denn wie schon oben gesagt, die Illusion, es würde wirklich ein Großkloster errichtet, muss aus marketingstrategischen Gründen unbedingt aufrecht erhalten werden. Letztendlich ist der Campus Galli ein Würstchen, das sich als dicke Salami inszeniert.

Leinenstoff nimmt Farbe deutlich schlechter an als Wolle. Dies ist auch ein Grund, warum unsere normale Arbeitskleidung überwiegend ungefärbt bleibt.
Der um das Jahr 830 n. Chr. entstandene Stuttgarter Psalter zeigt die Menschen in sehr farbenprächtiger Kleidung. Ob Textilien im Frühmit- telalter tatsächlich entsprechend gefärbt waren oder ob die bunten Darstellungen stark übertrieben sind um das Buch attraktiver zu gestalten, ist nicht gesichert. Textilarchäologen gehen heute davon aus, dass das Färben von Kleidung für viele Menschen im Frühmittelalter keine große Rolle gespielt hat.

Was für ein Sammelsurium aus Halbwahrheiten, das dieser Kurzstreckendenker da unter Berufung auf irgendwelche namentlich nicht genannten "Textilarchäologen" zum Besten gibt! Ja, Leinenfasern nehmen Farbstoffe tendenziell weniger gut an und verlieren sie auch schneller wieder. Das hat die Bevölkerung im Frühmittelalter aber offenkundig nicht davon abgehalten, trotzdem einen Teil ihrer Leinenklamotten zu färben. Ich habe im Blogbeitrag zu meiner (ungefärbten) Thorsberghose einige Beispiele dafür genannt (wer will, findet noch jede Menge weitere!).  

  • Notker von St. Gallen (9./10. Jh.) erwähnt rote Leinenhosen, über die man im Bereich der Waden ebenfalls rot gefärbte Binden schlang (Mönch von St. Gallen: De Gestis Caroli Magni, I, 34)
  • Der Verstorbene im sogenannten Sänger- bzw. Leiergrab von Trossingen  (6. Jh.) trug eine hellgelb gefärbte Hose aus Leinen.

Es gibt demnach wesentlich bessere Quellen als die Buchmalereien im Stuttgarter Psalter. Ohnehin ist völlig klar, dass dieses Werk grundsätzlich keine perfekte Vorlage für gefärbte Textilien sein kann. Sind doch die oftmals besonders 'knalligen' Pigmente, die in der Buchmalerei verwendet wurden, mineralischer Natur und für Kleidung ungeeignet. Egal ob man Leinen oder Wolle färben möchte. 
Von all dem abgesehen kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass beispielsweise mit Walnussschalen gefärbtes Leinen die hellbraune Färbung seit vielen Jahren sehr gut behält. Außerdem habe ich festgestellt, dass sich schon etwas länger getragenes und dadurch weicher gewordenes Leinen besser färben lässt. Es wäre nun die Aufgabe des Campus Galli, genau so etwas experimentell zu erkunden. Aber stattdessen flüchtet man sich in pauschalisierende Ausreden.  


Fazit: Das vorliegende Büchlein ist voller Blabla, das einer kritischen Betrachtung nicht standhält. Die Bebilderung wiederum ist durchwachsen; teilweise findet man auf der Homepage des Projekts wesentlich bessere Motive. 
Sicher, dem Interessierten wird hier - im Gegensatz zur haarsträubenden ersten Ausgabe des Baustellenführers - ein leicht verständlicher Überblick hinsichtlich des Projekts Campus Galli geboten. Aber die ungeschminkte Wahrheit wird ihm vom Autor und Geschäftsführer Hannes Napierala (wenig überraschend) vorenthalten. Wer jedoch genau daran interessiert ist, der muss bei mir reinschauen 🙃.

Abschließender Hinweis: Weil ich hier vor allem das Projekt besprochen habe, aber weniger das Buch, verzichte ich diesmal auf die Bewertung mit Sternen. Ich werde allerdings noch bei Amazon eine angepasste Rezension hochladen.

—————–